Stellungnahme zur Veröffentlichung der Missbrauchsstudie der WWU

Gegenüber allen Bischöfen von Münster im Untersuchungszeitraum von 1945 bis 2020 erhebt das Missbrauchs-Gutachten Vorwürfe unterschiedlicher Art.

Gegenüber allen Bischöfen von Münster im Untersuchungszeitraum von 1945 bis 2020 erhebt das Missbrauchs-Gutachten Vorwürfe unterschiedlicher Art. | Foto: Michael Bönte, Kirche+Leben

Stellungnahme des Diözesankomitees der Katholiken im Bistum Münster vom 20. Juni 2022 zur Veröffentlichung der Missbrauchsstudie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster „Macht und sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche – Betroffene, Beschuldigte und Vertuscher im Bistum Münster seit 1945“:

Mit der vorliegenden Studie ist erneut deutlich geworden, welch großes Leid vielen Kindern und Jugendlichen angetan wurde. Leben wurden zerstört. Wir sind beschämt und können nur erahnen, wie sehr diese Verbrechen sich in die Körper, Herzen und Seelen der Kinder und Jugendlichen eingebrannt und ihr Leben beeinflusst haben. „Jedes Einzelschicksal sexualisierter Gewalt in unserer Kirche schockiert mit dem jeweiligen individuellen Leid und den Problemen, die sich über Generationen und über Jahrzehnte hinweg für die Betroffenen darstellen“, so Brigitte Lehmann, Vorsitzende.

In der Studie wird deutlich, dass es neben den Missbrauchspriestern, die tätlich geworden sind, Bischöfe und Leitungsverantwortliche im Bistum Münster gab, die von den Taten wussten. Sie haben nicht reagiert und vertuscht. Missbrauchsopfer wurden zum Schweigen überredet. Zudem wurden systematisch Missbrauchspriester auch der Strafverfolgung durch weltliche oder kirchliche Instanzen entzogen. „Wie viele Taten hätten allein dadurch verhindert werden können, wenn Bischöfe und andere Leitungsverantwortliche entsprechend den Maßgaben des Kirchenrechts gehandelt hätten. Um aber die Kirche als Institution nicht in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen, seien Beschuldigte absichtlich aus der Schusslinie genommen worden“, so Ulrich Vollmer, Vorsitzender.

Die Forscher haben sich nicht nur auf die kirchlichen Akten verlassen, sondern zahlreiche Interviews, vor allem mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs geführt. So wird auch das Schweigen von Laien, Familien, Ordensfrauen oder Haushälterinnen thematisiert. Dieses macht deutlich, dass es neben dem Klerikalismus von oben auch einen Klerikalismus an der Basis gab, der den Missbrauchspriestern ihre Taten erleichtert hat. Deutlich beschreiben die Forscher die völlige Überhöhung des Priesteramtes im katholischen Milieu und die überfordernde Machtfülle und Autorität des Diözesanbischofs.

„Rückblickend ist es für uns mehr als unverständlich und nicht akzeptabel, dass oftmals auch Laien wussten, dass Kinder und Jugendliche von Priestern missbraucht wurden und dennoch nicht gehandelt haben. So wurden weder Leitungsverantwortliche des Bistums informiert noch die Justiz eingeschaltet. Es wurde geschwiegen und gedeckt und somit weiterhin Missbrauch ermöglicht. Dadurch haben sich auch Laien schuldig gemacht“, so Brigitte Lehmann.

Die Studie zeigt auf, wie die Kirche von Münster seit 2010 mit dem sexuellen Missbrauch umgeht und bezeichnet dieses zurecht als einen erzwungenen Lernprozess. Sie macht deutlich, dass es letztlich um einen umfassenden und dringend notwendigen Kulturwandel in Bischofshäusern und Generalvikariaten, in Pfarreien und Gemeinden sowie den katholischen Verbänden und Organisationen geht. Ein Lernprozess der noch längst nicht abgeschlossen ist.

Am vergangenen Freitag hat Bischof Felix Genn in einer Pressekonferenz zur vorliegenden Studie ausführlich Stellung genommen. Als Vorsitzende des Diözesankomitees begrüßen und würdigen wir sein Bekennen zu einer veränderten Haltung kirchlicher Verantwortungsträger – nicht zuletzt seiner eigenen.

Als Vertretung der Laien im Bistum Münster werden wir Bischof Felix Genn und die Leitungsverantwortlichen in unserem Bistum mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen und uns dafür einsetzen, dass eine möglichst umfassende Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs erfolgt.

Aufarbeitung bedeutet für uns:

  • jedem Verdachtsmoment von Missbrauch in den Pfarreien und Gemeinden sowie den katholischen Verbänden und Organisationen in unserem Bistum nachzugehen. Dazu gehört auch die Schaffung einer Kultur, die sexuellen Missbrauch verhindert.  
  • neben einer intensiven und kontinuierlichen Präventionsarbeit in allen Pfarreien und Gemeinden sowie katholischen Verbänden und Organisationen die Verpflichtung zur Erstellung von institutionellen Schutzkonzepten und zur Prävention.
  • die Sexuallehre der Kirche neu zu bewerten, in ihrer vielfältigen sexuellen Orientierung sowie geschlechtlichen Identitäten anzuerkennen und sprachfähig zu werden.


In den Pfarreien und Gemeinden, den katholischen Verbänden und Organisationen unseres Bistums wird es weitere Betroffene geben. Wir ermutigen sie, sich an Personen ihres Vertrauens, die Interventionsstelle im Bistum oder anonym über anonym-missbrauch-melden.de zu wenden.

Gegenstand der Studie waren „Fälle“ des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen durch Kleriker im Bistum Münster. Damit sind bei weitem nicht alle Fälle von sexuellem Missbrauch erfasst. Uns ist bewusst, dass es auch grenzverletzendes Verhalten durch Kleriker Erwachsenen gegenüber gab und gibt. Die Grenze zwischen sexuellem und geistlichem Missbrauch ist zudem fließend. Die Rolle der Laien ist ebenfalls nicht vollumfänglich erfasst.

Wir erwarten, dass diese Aspekte auch aufgearbeitet werden.

Wir unterstützen das Vorhaben des Bischofs, zu prüfen, wie und unter welchen Umständen eine diözesane kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bistum Münster zeitnah umgesetzt werden kann. Ebenso begrüßen wir die Entscheidung des Bischofs, die Gremienstruktur in unserem Bistum neu zu ordnen. Wir erwarten, dass diese Neuordnung mit Beteiligung von Laien unter der Berücksichtigung folgender Aspekte geschieht: paritätisch geschlechtsbezogen, Laien und Kleriker berücksichtigend.

Wir danken Bischof Felix Genn, dass er sich erneut eindeutig und klar zum Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland – dem Synodalen Weg – in der Pressekonferenz bekannt hat. Ihm ist bewusst, dass die Fragen von Macht und Gewaltenteilung, Geschlechtergerechtigkeit und Sexualmoral sowie Missbrauch systemisch ineinandergreifen. Angesichts der kritischen Stimmen in Deutschland – auch aus der Weltkirche – tut diese seine Feststellung gut. Es ist ermutigend, dass er sich auch weiterhin mit ganzer Kraft für die Anliegen des Synodalen Weges einsetzen wird.