Interview mit Kerstin Stegemann: „Wir Laien müssen mutiger werden“

Mit großer Mehrheit wurde Kerstin Stegemann als neue Vorsitzende des Diözesankomitees gewählt. Foto: Michael Bönte

Kerstin Stegemann hat sich als neue Vorsitzende des Diözesankomitees für ihre Amtszeit viel vorgenommen. Sie will die großen Themen angehen: Zölibat, Klerikalismus und Gleichberechtigung der Frauen in der Kirche. Stegemann ruft die Laien auf, für Veränderungen zu streiten.

Frau Stegemann, Sie wurden mit 49 von 50 Stimmen als Vorsitzende des Diözesankomitees von den Delegierten gewählt. Ist das Herausforderung oder Last?
Auf jeden Fall eine Herausforderung. Mit einem so guten Ergebnis gewählt zu werden, hat mich beeindruckt. Es macht mir Mut, die kommende Zeit zu gestalten. In meiner Vorstellung habe ich einige kritische Punkte in der Kirche angesprochen. Das Wahlergebnis empfinde ich deshalb als Zustimmung der Delegierten für das Ziel, sich für eine Erneuerung der Kirche einzusetzen.

Sie haben sich viel vorgenommen: die Gleichberechtigung von Frau und Mann, die Bedürfnisse der Laien in den Mittelpunkt stellen, soziale Aspekte wieder stärker betonen – ist das nicht ein bisschen viel?
Es ist viel, das stimmt. Aber ich glaube nicht, dass es zu viel ist. Denn ich werde diese Agenda ja nicht innerhalb eines Jahres umsetzen. Viele katholische Verbände und Engagierte sind schon auf dem Weg, diese Ziele zu erreichen. Im Diözesankomitee werden wir diese Aktivitäten bündeln. Wir haben nicht die Wahl. Wir müssen uns mit diesen Themen beschäftigen und jetzt große Schritte tun. In der Vergangenheit war das Vorgehen oft zu kleinmütig. Das führt dazu, dass wir als Kirche viele Menschen verlieren. 

Wie wollen Sie diese ehrgeizigen Ziele umsetzen?
Das geht nur im Miteinander. Im Diözesankomitee, in den Verbänden und Kreiskomitees, in den Gruppen und mit den Engagierten vor Ort. Wir werden uns im Vorstand abstimmen, um mit einer großen Schlagkraft Themen voranzubringen.

Wie werden Sie Ihren Einfluss bei der Bistumsleitung und bei Bischof Genn geltend machen?
Dafür gibt es sicher kein Patentrezept. Ich bringe Erfahrung aus vielen Gremien wie zum Beispiel dem Kirchensteuerrat mit. Aber es geht ja nicht nur um mich. Wir sind ein schlagkräftiges Team. Wir werden uns zum Beispiel in die Debatte einmischen, an welcher Stelle die Kirche Geld ausgeben soll, wo Schwerpunkte gesetzt werden müssen. Und das im Einklang mit dem Prioritätenprozess des Bistums. Die Zukunft der Kirche muss in den Gremien an die Spitze der Tagesordnung. Wir werden mit der Bistumsleitung in direkten Gesprächen und Foren über zu fördernde Entwicklungen diskutieren.

Konkret: Gleichberechtigtes Miteinander von Frau und Mann. Dem steht nicht nur der Zölibat, sondern auch  der verkrustete Klerikalismus entgegen.
Ja, wir können nicht allein die Strukturen der Kirche verändern. Das geht nur im Miteinander. Zum Beispiel mit der Bistumsleitung, mit der Deutschen Bischofskonferenz und der Weltkirche. Die Antwort der Amtskirche auf unsere Forderungen darf nie sein: „Das geht nicht.“ Das passiert ja durchaus, wenn wir beispielsweise fordern, den Zölibat abzuschaffen oder Frauen zum Priesteramt zuzulassen. Gesprächspartner bleiben dann häufig beim Nein und setzen dahinter einen Punkt. 

Wie wollen Sie das verändern?
Wir werden auf der Sachebene über unsere Forderungen diskutieren. Wir dürfen uns nicht an der Strukturdiskussion abarbeiten, sondern müssen unsere Vorstellungen von einer zukunftsfähigen Kirche in den Mittelpunkt stellen. Das Argument: Weil es so ist, muss es so bleiben, darf nicht länger schlagkräftig sein. Wir Laien müssen mutiger werden. Wir dürfen als Kirche nicht einfach weiter machen wie bisher, sondern müssen an die neuralgischen Punkte herangehen. Wir müssen zeigen, dass es Wege gibt, notwendige Veränderungen zu erreichen.

Gibt es für diese Wege Beispiele?
Zum Beispiel in der Diözese Osnabrück. Dort wird konkret danach geguckt, wie Gemeindeleitung auch anders funktionieren kann. In der Leitung werden Gemeindereferentinnen und -referenten eingesetzt. Das sind erfolgsversprechende Wege. Im Bistum Essen zum Beispiel gibt es eine Pfarrgemeinde, die sich selbst leitet, weil sie eine Fusion für sich als keine gute Lösung gehalten hat. Entscheidend ist, dass wir aus diesen beispielhaften Konzepten für die Zukunft lernen.

Sollen Laien als Gemeindeleiter eingesetzt werden, muss das Kirchenrecht geändert werden.
Das Kirchenrecht ist auch von uns Menschen gemacht. Es ist deshalb ja durchaus veränderbar. Am Ende der Diskussion um die Leitung in einer Pfarre sagt der Bischof von Münster deutlich, dass es der Priester sein muss. Das wird bald schon nicht mehr funktionieren. Die Zahl der Priester geht deutlich zurück, und das System kann so dauerhaft nicht funktionieren. Darüber hinaus gibt es manche Priester, die sich selbst als Seelsorger verstehen und keine Leitungsfunktion wahrnehmen wollen. Über kurz oder lang wird es eine Veränderung geben müssen. 

Sicher ein Blick in die Zukunft. Der Einsatz für Veränderungen mutet wie die Arbeit in einem Steinbruch an.
Ja, das ist der Arbeit im Steinbruch ähnlich. Veränderungen werden nicht von heute auf morgen kommen. Dafür sind die Strukturen in unserer Kirche zu festgefahren. Und auch wir im Diözesankomitee werden die notwenigen Veränderungen nicht sofort herbeiführen. Wir müssen in diesem Prozess viele Menschen mitnehmen und dürfen kein Gegeneinander erzeugen. Wir müssen uns klar machen, dass es in der Kirche mehrere Generationen gibt. Nach wie vor hat der Priester für viele Menschen eine zentrale Bedeutung. Die dürfen wir nicht erschrecken.  

Die Kirche wird durch einen enor­men Vertrauensverlust gekennzeichnet. Was wollen Sie tun?
Der vielfache Missbrauch ist auch durch die Hierarchie und Struktur in der Kirche möglich geworden. Diese müssen wir aufbrechen. Damit dürfen wir nicht zu lange warten. Bestimmte Personen dürfen aufgrund ihres Amtes nicht als unantastbar gelten. Wir müssen mit allen offen und ehrlich umgehen. Das Bistum hat durch die Fachstelle Prävention  schon entscheidende Schritte eingeschlagen. 

Wie wollen Sie in politischen Fragen Einfluss nehmen?
Wir müssen als Kirche stärker in die Öffentlichkeit gehen. Wir könnten auf diesem Gebiet punkten, weil wir ja den Menschen als Ganzes betrachten, mit seinen Fähigkeiten und Charismen. Wir sollten etwa auch in die Diskussion über die sozialen Sicherungssysteme einsteigen. Zum Beispiel wenn es um Fragen der Grundsicherung geht. Es gibt Parteien, die vermehrt Sanktionen fordern, wenn nicht alle Voraussetzungen geleistet werden. Weiteres Beispiel: die Rentenversicherung. Hier könnte die Kirche sich für die Frauen einbringen, die zwar keine Beiträge eingezahlt, aber mit der Erziehungs- und Hausarbeit eine wichtige Arbeit für die Gesellschaft geleistet haben. In ähnlicher Weise müsste die Bedeutung der ehrenamtlichen Arbeit für die Rente neu beleuchtet werden, auch wenn sie keine Beiträge für die Rentenversicherung einbringt. Das ist ein Feld, auf dem wir als Kirche eine sozialere Rolle einfordern und nicht nur die leistungsbezogene Karte spielen sollten.


Interview: Jürgen Kappel 
Kirche+Leben