Kirchenaustritt: Gesetzeslage mit dem Evangelium nicht zu vereinbaren

Stefan Werding, Journalist und Moderator, Markus Ziganki, Mitglied im Kirchensteuerrat des Erzbistums Paderborn, Ulrich Hörsting, Leiter Fachbereich Finanzen und Bauen im Bischöflichen Generalvikariat Münster, Weihbischof Stefan Zekorn und Anna Ott, Leiterin der Stabsstelle Kirchenrecht im Bischöflichen Generalvikariat Mainz (v.l.n.r.).

Zum Thema Kirchensteuer haben viele Menschen in Deutschland eine Meinung: oft kritisch, teils ideologisiert, selten sachlich. Die christlichen Kirchen erwarten wegen der stark sinkenden Zahl ihrer Mitglieder deutlich geringere Steuereinnahmen in den kommenden Jahren. Eine Alternative dazu kann die Kultursteuer sein, die nicht nur Kirchenmitglieder, sondern alle Steuerpflichtigen zahlen müssten. Die Kirchenjuristin Anna Ott hat beide Systeme miteinander verglichen und ihre Ergebnisse unter dem Titel „Kultursteuer statt Kirchensteuer? – Die deutsche Kirchensteuer auf dem Prüfstand“ auf der Vollversammlung des Diözesankomitees im Bistum Münster am Samstag, den 17. Mai in der Münsteraner Akademie Franz Hitze Haus vorgestellt. In seiner Begrüßung plädierte deshalb der Vorsitzende Ulrich Vollmer dafür, sich andere Länder anzuschauen, in denen es keine staatlich erhobene Kirchensteuer gebe. Klar aber sei, „ohne Beitrag der Gläubigen werde es nicht gehen“.

„Angesichts sinkender Einnahmen lassen sich viele soziale Einrichtungen, wie Kitas und Schulen, womöglich irgendwann nicht mehr finanzieren“, sagte Ott, Leiterin der Stabsstelle Kirchenrecht im Bischöflichen Generalvikariat Mainz zu Beginn ihres Vortrags. Deswegen müsse angesichts sinkender Einnahmen eine Lösung her. Zurzeit sei es so, dass jeder, der der evangelischen oder katholischen Kirche angehöre und auf seine Einkünfte Steuern zahle, auch die Kirchensteuer bezahlen müsse. Diese werde von den Finanzämtern eingezogen. „Bei einer Mandats- oder Kultursteuer wie in Italien oder Spanien müssen alle Bürger eine Steuer zahlen“, so Ott weiter. Dabei könne man sich dann aussuchen, ob das Geld an eine Religionsgemeinschaft oder eine soziale Organisation fließe.

Der grundlegende Unterschied zur Kirchensteuer sei der, dass es sich um eine staatliche Steuer handeln würde, während die deutsche Kirchensteuer keine echte Steuer sei, „sondern ein Mitgliedsbeitrag“. Darum sei für viele Menschen in Deutschland die Kultursteuer auf den ersten Blick deutlich attraktiver. Für die Kirche in Deutschland wäre das Modell allerdings schwieriger: „Zum einen wegen des Wettbewerbs. Und zweitens, weil die Einführung einer Kultursteuer zunächst einmal eine generelle Steuererhöhung für alle Bürgerinnen und Bürger bedeuten würde.“ 

Weihbischof Zekorn sieht Kirchenaustritt, um Kirchensteuer zu entgehen, kritisch

In der sich anschließenden Diskussion nutzte der Münsteraner Weihbischof Stefan Zekorn die Gelegenheit, dem Diözesankomitee zum 60jährigen Jubiläum zu gratulieren: „Ich möchte persönlich gratulieren und wünsche Ihnen Gottes Segen für Ihren weiteren Dienst. Gut, dass es sie gibt. Machen sie weiter so!“

Gleich danach wurde es ernst. Die Folgen eines Kirchenaustritts wurden von Ott kritisch hinterfragt. Denn eigentlich sei die Möglichkeit zum Kirchenaustritt eine rein staatliche Angelegenheit. Aber weil die deutschen Bischöfe trotzdem eine ganze Reihe innerkirchlicher Rechtsfolgen eines Kirchenaustritts festgelegt hätten, „stehen Ausgetretene in etwa auf derselben Stufe wie Exkommunizierte. Sie werden für ihren Austritt regelrecht bestraft“, stellte die Kirchenrechtlerin fest. „Die Weigerung, weiterhin Sakramente zu spenden ist etwas, das überhaupt nicht geht. An diesen Ausschluss Ausgetretener von den kirchlichen Sakramenten muss die Bischofskonferenz ran“, schrieb sie Weihbischof Zekorn ins Stammbuch.

„Ich persönlich kann da wenig machen“, erwiderte der Weihbischof direkt. Man habe die Frage des Kirchenaustritts in der Vollversammlung der Bischofskonferenz diskutiert: Und er habe sich dagegen ausgesprochen. Aber letztendlich sei das eine Entscheidung der Bistümer und nicht der Bischofskonferenz. Ihn treibe vielmehr die Tatsache um, dass ein Kirchenaustritt nötig sei, um der Zwangsabgabe zu entgehen. „Damit habe ich das gleiche Problem wie Sie, Frau Ott.“ Die momentane Gesetzeslage sei mit dem Evangelium nicht zu vereinbaren. „Wir müssen mit dem Staat darüber reden, dass man sich aus der Kirchensteuer verabschieden kann, ohne aus der Kirche austreten zu müssen.“ Die Abmeldung von der Kirchensteuer könne nicht gleichbedeutend sein mit einem Austritt aus der Religionsgemeinschaft. Das sei seine Vision, um von diesem Thema „Zwangsabgabe“ wegzukommen.

Ulrich Hörsting schließt Schließung von Einrichtungen wie Kitas auf Dauer nicht aus

Ulrich Hörsting Leiter Fachbereich Finanzen und Bauen im Bischöflichen Generalvikariat Münster, richtete seinen Fokus auf die Folgen sinkender Einnahmen. „Ich glaube, wir haben ein grundsätzliches Problem, weil wir als missionarische Kirche immer noch den Anspruch erheben, alles für alle anzubieten.“ Angesichts der Vielzahl von Einrichtungen werde man früher oder später nicht drumherum kommen, sich von einigen Angeboten trennen zu müssen. Das werde „sehr schmerzhaft“ werden. Man werde sich die Frage stellen müssen, „ob wir auf Dauer flächendeckend im Bistum Münster die 670 Tageseinrichtungen für Kinder anbieten können“.

„Das Erzbistum Hamburg hat sich ja großflächig von seinen Schulen getrennt“, erwiderte Markus Ziganki, Mitglied im Kirchensteuerrat des Erzbistums Paderborn. Da habe es einen großen Aufschrei gegeben. Er machte sich dafür stark, jetzt die nötigen finanziellen Weichen zu stellen. „Ich bin dafür, dass man handelt und nicht wartet.“ Erst zu reagieren, wenn der finanzielle Druck zu groß sei, lasse keinen Platz für Ideen oder Handlungsspielraum. In Hamburg sei der Druck schließlich so groß gewesen, dass gehandelt werden musste. Mit den bekannten Konsequenzen. „Und wir in Münster und Paderborn haben eigentlich doch das Glück, dass wir diese Handlungsfreiheit noch haben.“